Bedürfnispyramide in der Arbeitswelt: Ein veraltetes Modell?

Die Bedürfnispyramide von Maslow gehört zu den bekanntesten Theorien der Motivation. Sie beschreibt, wie grundlegende Bedürfnisse die Grundlage für höhere, komplexere Bedürfnisse schaffen. Doch in der modernen Arbeitswelt stößt dieses Modell immer häufiger an seine Grenzen. Vor allem in kreativen und dynamischen Umgebungen, wie sie in vielen privaten Bildungs- und Medieninstituten zu finden sind, zeigt sich, dass die traditionelle Pyramidenstruktur nicht immer sinnvoll ist.

Zu sehen sind 4 Elemente von Bedürfnissen von Menschen. Dazu gehört unter anderem das Primärbedürfnis des Essens, aber auch verwandte Begriffe wie Gesehenwerden, Helfen und weitere.
Ansicht von vier Bedürfnissen aus dem Kategoriensystem von 77 Human Needs. Foto: Unplash.com by @77hn

Was ist die Bedürfnispyramide nach Maslow?

Die Bedürfnispyramide, entwickelt von Abraham Maslow, besteht aus fünf Stufen:

  1. Physiologische Bedürfnisse: Grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser und Schlaf.
  2. Sicherheitsbedürfnisse: Schutz, Sicherheit und Stabilität.
  3. Soziale Bedürfnisse: Zugehörigkeit, Freundschaften und Liebe.
  4. Wertschätzungsbedürfnisse: Anerkennung, Erfolg und Selbstachtung.
  5. Selbstverwirklichung: Das Streben nach persönlichem Wachstum und der Entfaltung des eigenen Potenzials.

Maslow postulierte, dass Menschen zuerst die unteren Ebenen erfüllen müssen, bevor sie sich den höheren Stufen zuwenden können. Doch gilt diese Theorie auch für den modernen Arbeitsplatz?

Kritik an der Bedürfnispyramide in der Arbeitswelt

In der Praxis wird zunehmend hinterfragt, ob Maslows Modell den realen Arbeitsumgebungen gerecht wird. Die gegenwärtige Forschung zeigt, dass Bedürfnisse in der Arbeitswelt nicht unbedingt hierarchisch strukturiert sind. Besonders in kreativen Branchen und innovativen Bildungsinstituten, die stark projekt- und teamorientiert arbeiten, zeigen sich andere Prioritäten.

Ein Beispiel ist die veränderte Gewichtung von Sicherheit und sozialen Bedürfnissen. Viele Mitarbeitende in der kreativen Medienbranche legen besonderen Wert auf Arbeitsklima, Teamgeist und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, bevor sie über finanzielle Sicherheit und langfristige Stabilität nachdenken. Maslows starre Pyramide scheint dem oft nicht gerecht zu werden.

Ansicht der Job-Bedürfnispyramide von XING / NEW WORK SE

Die Plattform XING hat versucht, dieses Modell auf die Employee Experience anzuwenden, indem sie eine Job-Bedürfnispyramide entwickelt hat (XING – New Work SE 2023).

Diese Grafik integriert Aspekte wie finanzielle Sicherheit als eine der unteren Stufen, was jedoch in einer unselbstständigen Tätigkeit häufig nicht ausschließlich durch den Job erreicht werden kann. Daher stellt sich die Frage nach der Angemessenheit und Flexibilität solcher hierarchischen Modelle in der Praxis.

Empirische Erkenntnisse: Neue Prioritäten am Arbeitsplatz

In meinem Forschungsprojekt, das an einem privaten Medieninstitut durchgeführt wurde, zeigte sich, dass das Arbeitsklima als eines der wichtigsten Bedürfnisse betrachtet wird – noch vor Aspekten wie Vergütung und Sicherheit. In modernen Arbeitswelten sind Faktoren wie Teamarbeit, kreative Freiheit und ein angenehmes Umfeld oft entscheidend für die Motivation und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden.

Moderne Bedürfnisse in der Arbeitswelt:

  • Teamgeist und Zusammenhalt: Der Wunsch nach einer familiären und unterstützenden Atmosphäre im Arbeitsumfeld spielt eine zentrale Rolle.
  • Kreative Freiheit: Die Möglichkeit, kreativ und eigenverantwortlich zu arbeiten, ist oft wichtiger als ein hohes Gehalt.
  • Work-Life-Balance: Flexible Arbeitszeiten und die Freiheit, Projekte eigenständig zu gestalten, werden zunehmend als notwendig erachtet, um sich motiviert zu fühlen.

Warum passt Maslows Modell nicht mehr?

Ein Problem der Pyramide ist die Annahme, dass Menschen in linearer Reihenfolge von einer Ebene zur nächsten aufsteigen. In modernen Arbeitsumgebungen stehen jedoch oft mehrere Bedürfnisse gleichzeitig im Fokus. Ein kreativer Kopf in einem Bildungsinstitut könnte sowohl ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung als auch nach sozialem Zusammenhalt empfinden – ohne dass das eine das andere voraussetzt.

Die Bedürfnisse sind dynamisch, sie ändern sich je nach Situation, Projekt und sogar der Stimmung der Mitarbeitenden. Ein Modell, das die Bedürfnisse in statische Hierarchien unterteilt, kann dieser Dynamik nicht gerecht werden. Aus diesem Grund wurde in meiner Forschungsarbeit ein Grafik entwickelt, welche eine gleichwertige Betrachtung der diversen Bedürfnisse ermöglicht.

Dieses nachstehende Modell stellt fünf gleichrangige Säulen dar: Vergütung, Sicherheit, Arbeitsklima, Wertschätzung und Entfaltung. Jede dieser Säulen beinhaltet verschiedene Faktoren, die zu ihrer Erfüllung beitragen können. Mit Hilfe dieser Betrachtungsweise wird eine flexible und realistische Abbildung der Bedürfnisse von Mitarbeitenden ermöglicht, ohne durch eine rigide Hierarchie eines pyramidalen Schemas eingeschränkt zu sein.

Alternative Modelle für die Arbeitswelt

Neue Ansätze aus der Forschung versuchen, diese Dynamik besser abzubilden. Modelle, die auf Selbstbestimmungstheorie basieren, legen mehr Wert auf die Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit der Mitarbeitenden. Dabei geht es weniger darum, feste Stufen zu erklimmen, sondern mehr darum, eine Balance zwischen verschiedenen Bedürfnissen zu finden.

Fazit: Mehr Flexibilität gefragt

Die Bedürfnispyramide von Maslow ist ein wichtiges historisches Modell, das Grundlagen geschaffen hat. Doch die Realität in modernen Arbeitsumgebungen erfordert flexiblere Ansätze. Vor allem kreative und dynamische Branchen profitieren von Modellen, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden mehr Raum lassen und nicht auf starre Hierarchien setzen.

Für Arbeitgeber in der Medien- und Bildungsbranche bedeutet dies, dass sie sich stärker auf eine dynamische, mitarbeiterzentrierte Kultur einlassen müssen, um langfristig erfolgreich zu sein.


  • Maslow, A.H. (1943) ‚A theory of human motivation.‘ In: Psychological Review 50 (4), S. 370– 396
  • Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic Motivation and Self-Determination in Human Behavior. New York: Plenum.
  • Herzberg, F., Mausner, B., & Snyderman, B. B. (1959). The Motivation to Work. John Wiley & Sons.
  • Plaskoff, J. (2017) ‚Employee experience: the new human resource management approach‘ In: Strategic HR Review 16 (3), S. 136–141
  • XING – New Work SE (2023) ‚Instagram‘ [online] Verfügbar unter https://www.insta-gram.com/p/CxsAjz8tnDK (Zugegriffen am 16.02.2024)